Eröffnungsrede "Monochrom und Metall"

Ahrweiler 2012, ehemalige Synagoge

 

 

Liebe Künstlerinnen, liebe Gäste,

 

 

wenn Sie ins Internet gehen und die beiden Begriffe „Textilkunst“ und „Stiefkind“ zusammen googeln, kriegen Sie ungefähr 2000 Treffer. Viele davon beziehen sich auf die zahlreichen Stiefkinder in den Märchen, was seinen Grund darin hat, dass Märchen bekanntlich oft Gegenstand der Textilkunst sind. Aber sehr viele beziehen sich auch auf den Status der Textilkunst in der Wahrnehmung:

 

Die Textilkunst, das schöpferische Arbeiten mit Farben, Fasern, Stoffen, Geweben, mit Nadel, Faden, Webstuhl, das Wirken, Walken, Filzen, Nähen und Sticken und die Werke, die dabei entstehen – all das ist Stiefkind der Kunst und Kunstgeschichte, ist im Schatten, in einer Nische der seriösen Betrachtung, ist traditionell gering geschätzt, hat im Kanon der Kunstformen allenfalls einen Zweite-Klasse-Status, ist selbst noch auf der Etage „unterhalb der Kunst“, wie man so sagt, nämlich auf der Ebene des Kunsthandwerks gegenüber anderen Kunsthandwerkformen imagemäßig klar im Hintertreffen.

 

„Wo Wolle ist, ist auch ein Weib

das webt, und sei es nur zum Zeitvertreib.“

 

Das ist nur ein Beispiel aus der jüngeren Kunstgeschichte, nämlich ein Spruch des prominenten Malers und Bauhausmeisters Oskar Schlemmer. Mit eingeschlossen ist hier neben der Geringschätzung der Textilkunst auch die Geringschätzung einer Handarbeit, die als „spezifisch weiblich“ verstanden wird. Ein anderer Bauhausmeister, Joseph Albers, vertrat die These, dass Frauen nicht räumlich denken können, sondern nur in der Fläche, deshalb sei die Weberei für sie die passende Tätigkeit. Diese Haltung wurde aber auch von den Frauen selbst geteilt, wie es bei der Künstlerin Gunta Stölzl anklingt in ihrer Aussage über die Webkunst: Zu den „allgemeinen Anlagen des weiblichen Geschlechts“ zählt sie „gesteigertes Materialempfinden“, „starke Einfühlungsfähigkeit“, aber auch „ein mehr rhythmisches als logisches Denken“ – das mache die Frau zum textilen Gestalten wie geschaffen.

 

Hier haben wir es also mit den beiden offenbar bis heute nachwirkenden Assoziationsketten zu tun:

 

- auf der einen Seite das männliche Prinzip, verkoppelt mit Logos-Logik/Tiefe/Kopfarbeit und mit dem Resultat Text – signiert vom „Autor“, also individueller Ausdruck,

 

- auf der anderen Seite das weibliche Prinzip, verbunden mit Empfinden/ (Ober-)Fläche/Handarbeit und dem Ergebnis Textilien – früher in fast allen Fällen anonym.

 

(Wobei, das wissen wir, Text und Textilien sind beide von demselben lateinischen Wort hergeleitet, das Verweben, Verflechten bedeutet. Und bekannt ist auch, dass Textilarbeit keine reine Frauendomäne ist und nie war, dass zum Beispiel Walken und Filzen von Männern praktiziert wurde und in Asien noch wird – ebenso wie, als noch in großem Stile mit der Hand gewebt wurde, ebenso viele Weber wie Weberinnen am Werk waren...)

 

Jedenfalls und noch einmal: Textilien und Textilkunst = Stiefkinder der Kunst, der Kunstgeschichte, der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Die Kölner Professorin für Kunst und Kultur von Textilien und Kleidung und ihre Didaktik Marita Bombek bringt den Status Quo folgendermaßen auf den Punkt:

 

- „Das schöpferische Element textilen Gestaltens scheint überflüssig geworden zu sein und die Bedeutung textiler Gegenstände wird zur Marginalität herabgewürdigt.“ „Textilien und ihre Herstellung scheinen im Gedächtnis unserer Kultur nur noch am Rande zu existieren.“

 

- „Textilien haben in der heutigen Gesellschaft aber auch als Kunstform keinen eigenen Wert mehr“. Die Textilgestaltung sei damit heute in doppelter Hinsicht „sinnentleert“.

 

- Im Verschwinden begriffen oder sogar schon verschwunden sei im Zuge dieser Sinnentleerung einer der größten Kulturschätze überhaupt, nämlich, wie es Marita Bombek ausdrückt, „das Aneignen der Welt durch das Verstehen über die Hand“ und eine „jahrtausendealte kulturelle Sprachform der Hand.“

 

 

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So – jetzt habe ich Ihnen und uns ein ganz schwarzes Bild gemalt...

 

... mit dem ich Sie natürlich nicht in die Ausstellung entlassen kann und will. Denn wir wären nicht hier versammelt und die Ausstellung gäbe es gar nicht, wenn nicht alles auch ganz anders wäre.

 

Damit komme ich endlich zu „Krapp wie Gold“ und den vier Künstlerinnen Nadja Hormisch, Beate Lambrecht, Barbara May und Birgit Rössler. Ich habe ja eben den Ausflug in die Geschichte und ins Allgemeine nur gemacht, weil die Künstler- und Werkgruppe „Krapp wie Gold“ ein Programm hat, das um diese Geschichte weiß und auf sie reagiert. Das Programm steckt schon im Namen: Krapp ist eine alte Färberpflanze für Textilien, und „Krapp wie Gold“ wiegt symbolisch textile Fertigkeiten und Techniken mit Gold auf. Bestimmt also deren Wert neu und anders als eben geschildert – oder genauer: legt den Wert wieder frei, den die Textilkunst seit jeher in der Geschichte hatte und der heute aus dem Blick geraten zu sein scheint. Anders gesagt: Hier soll der Kulturschatz aufgedeckt, gehoben und wieder produktiv gemacht werden, von dem eben die Rede war: die jahrtausendealte kulturelle Sprachform der Hand. Und im gleichen Zug arbeiten die vier Künstlerinnen auch an der Rehabilitierung der Materialien: der oft und immer wieder als „arm“ und „gering“ missachteten und missverstandenen Materialien. Auch die werden mit Gold aufgewogen, erhalten jenen Glanz und jenes Gewicht zurückerstattet, das ihnen zukommt und zusteht.

 

Völlig konsequent im Rahmen dieses Programms erscheint mir dabei der Titel, also das Konzept der jetzigen Ausstellung: Monochrom und Metall.

 

Zum einen: Wer monochrom für „arm“ und monoton hält, wird sich wundern und kann hier sehen, welche Pracht das Monochrome entfalten kann. Schauen Sie sich Nadja Hormischs Energiebilder an oder Beate Lambrechts „Kraft-Rad“ oder Birgit Rösslers Arbeiten, die auf die vier Elemente Feuer, Erde, Luft und Wasser Bezug nehmen. Es gibt nur eine Energie im Kosmos, die sich aber in vielen Formen realisiert. Es gibt nur eine Handvoll Primärfarben, die den ganzen Reichtum der Farbenwelt generieren. Und aus den wenigen klassischen Naturelementen entfaltet sich der ganze Reichtum der Objektwelt. Die Grundlage des Reichtums ist also immer einfach, sozusagen „arm“, quasi monochrom.

 

Zum anderen: Auch wer das Metallische und das Textile für Widersacher hält, wird hier eines Anderen belehrt. Der Stoff besteht aus Fasern und Luft, ist organisch und vergänglich. Aber das Metall ist auch nicht ewig, es korrodiert, verbindet sich mit der Luft zu einem neuen Dritten, zerfällt, zerbröselt, ändert die Farbe und die Konsistenz, kurz: es unterliegt einem Stoff-Wechsel – es sei denn, es handelt sich um das erwähnte Gold, mit dem alles aufgewogen wird...

 

Man merkt; „Krapp wie Gold“ verknüpft hier schon im Namen der Ausstellung und erst recht dann in den einzelnen Objekten die Gedanken- und Motiv-Fäden, verbindet das Schatzmotiv mit dem Vergänglichkeitsmotiv und stiftet spannende Stoff-Wechsel-Beziehungen zwischen Reich und Arm, zwischen einem Dauerhaft-Kompakten, das sich als durchlässig-porös erweist, und einem dauernd vom Verschwinden Bedrohten, das sich trotzdem auf wundersame Weise durch alle Zeiten und Schichten zieht.

 

Sie sehen auch: Die Künstlerinnen haben offensichtlich das Schicksal der Textilkunst, das ich eingangs skizziert habe, in ihrer Arbeit mitreflektiert. Sie setzen sich auseinander mit dem Vergessen und Vergessenwerden, mit dem Verschwinden, betreiben zugleich Rettung, Wiedererinnerung, Sichtbarmachung, Wiederbelebung – spielen mit den Bewertungsmaßstäben, rücken das Marginale und Vernachlässigte ins Zentrum, machen das Geringe groß, zeigen das Alte neu, schaffen Neues aus Altem und Gebrauchtem. Dass sie sich dabei an vielen Stellen auf Märchen und Mythen beziehen, ist natürlich kein Zufall – siehe die anfangs erwähnten zahlreichen Stiefkinder in den Märchen...

 

Dabei arbeitet jede der Vier größtenteils mit den von ihr bevorzugten Techniken:

- Birgit Rössler webt,

- Beate Lambrecht filzt,

- Nadja Hormisch stickt – nein, das wäre zuwenig gesagt, sie

  betreibt Nadelmalerei,

- und Barbara May setzt neben Strickerei fast verschollene

  Techniken wie Bandweberei und Fingerweberei ein.

 

Bei aller Verschiedenheit und Vielfalt haben aber alle Arbeiten – über das hinaus, was ich schon angedeutet habe – nach meinem Eindruck vor allem fünf große Gemeinsamkeiten:

 

1. Alle Objekte pflegen ein Gedächtnis, haben ein Gedächtnis, sind Gedächtnis in mehrfacher Hinsicht. Sie gedenken Dingen oder Wesen, die verschwunden sind. In ihnen sind Erfahrungen, Gefühle, Leidenschaften aufgehoben. Die Künstlerinnen haben ihre Themen nicht bloß bearbeitet, sondern buchstäblich eingearbeitet mit der Sprache ihrer Hand ins Material (weswegen übrigens etliche Arbeiten unverkäuflich sind).

 

2. Gleichzeitig ist in den Objekten auch das Gedächtnis an ihre Entstehung aufgehoben: Der in sie investierte Prozess kann an ihnen studiert, nachverfolgt und beobachtet werden, ist dokumentiert, materialisiert. Die Objekte tragen und zeigen die Spuren der Hand-Arbeit und der Hand-Arbeits-Zeit als Teil ihrer ganz besonderen Ästhetik.

 

3. Alle Objekte sind auch Texte, die gelesen werden können. (Sie erinnern sich: die Assoziationskette, die dem männlichen Prinzip den Text, dem weiblichen die Textilien zuweist...). Nadja Hormisch etwa demonstriert, wie man mit Nadel und Faden regelrecht texten kann. Und wer erkennt nicht in Barbara Mays „Prinzessin auf der Erbse“, „Froschkönig“ und „Zaunkönig“ das Versmaß, den Zeilenumbruch und die Strophenform?

 

4. Die Objekte arbeiten durchweg nicht nur in der Fläche, sondern auch im und mit dem Raum (von wegen also: kein räumliches Denken bei Textilkünstlerinnen...). Sie haben Tiefe allein schon, weil ihnen, wie eben erwähnt, die Zeitdimension eingewoben, eingewalkt, eingenadelt wurde.

 

5. Alle Objekte sind „signiert“, also Zeugnisse individuellen Ausdrucks. Sie erweisen aber zugleich auch dem Anonymen ihre Reverenz, indem sie die anonymen Artefakte und die anonymen Fundstücke spielerisch integrieren und liebevoll adoptieren. Zu den anonymen Elementen will ich hier auch die anonymen Erzählstoffe (Märchen und Mythen) zählen sowie und die anonymen Technik-Erfindungen, deren Urheber oder Urheberinnen unbekannt sind.

 

Die Textilgestaltung sei heute „sinnentleert“, wurde eingangs gesagt. Hier, bei „Krapp wie Gold“, haben Sie nun, um es zusammenzufassen, das Gegenbild und die Gegenbewegung zu dieser Sinnentleerung: eine Fülle von Sinn – und überaus sinnlich; eine Fülle von Farben, Formen und Spielarten der Schönheit; eine Fülle von Statements in den Sprachen des Materials und denen der Hand.

 

Ich wünsche Ihnen viel Freude in der Ausstellung.

 

 

Manfred Etten

 

 

(Die Zitate sowie viele Anregungen zu dieser Rede habe ich entnommen aus Prof. Dr. Marita Bombek: „Frauen haben eine Affinität zu Textilien und Kleidung! Haben Frauen eine Affinität zu Textilien und Kleidung?“ In: Frauen antizipieren Zukunft, Köln 2000.)